Wird ein pflegebedürftiger Mensch gegen seinen Willen in seiner Bewegung eingeschränkt, sprechen wir von „freiheitsentziehenden Maßnahmen.“ Sie reichen vom Feststellen der Rollstuhlbremsen bis zum Extrem: Bis zu zehn Prozent der Bewohner in deutschen Pflegeheimen werden täglich „körpernah fixiert.“ Das geschieht kaum in böser Absicht, sondern um Stürze zu vermeiden oder aus schierer Überforderung.
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JaWas sind freiheitsentziehende Maßnahmen?
Vom Gesetzgeber wurde festgelegt, dass es sich dann um eine freiheitsentziehende Maßnahme handelt, wenn die Bewegungsfreiheit einer Person ohne ihre Zustimmung eingeschränkt wird. Unter derartige Maßnahmen fallen zum Beispiel: Bettgitter, Bauchgurte, Hand- und Fußgurte, das Feststellen der Rollstuhlbremse, das Wegstellen der Hausschuhe oder das Verschließen von Türen. Auch die Gabe von Medikamenten, die mit dem Ziel verabreicht werden, eine Person in ihrer Freiheit zu beschränken, zählt zu den freiheitsentziehenden Maßnahmen.
Freiheitsentziehende Maßnahmen sollten die letzte Möglichkeit sein
Freiheitsentziehende Maßnahmen sind nur nach gewissenhafter Abwägung der Freiheitsrechte mit den Fürsorgepflichten unter bedingungsloser Beachtung der Würde des Menschen und seiner Selbstbestimmung anzuwenden. Sie sind immer das letzte Mittel der Wahl. Es muss die schonendste und am wenigsten in die Freiheit des Betroffenen eingreifende Maßnahme zum Tragen kommen. Zudem muss ihre Dauer begrenzt sein und ihre Notwendigkeit immer wieder reflektiert werden. Freiheitsentziehende Maßnahmen sind nur dann angebracht, wenn alle anderen Möglichkeiten versucht wurden und keinen Erfolg hatten.
Es gibt nur wenige Situationen, in denen freiheitsentziehende Maßnahmen durchgeführt werden sollten, nämlich bei:
- hohem Verletzungsrisiko durch einen Sturz;
- Gesundheitsgefahr, zum Beispiel durch Gefahr der Entfernung von Infusionen;
- aggressivem Verhalten, durch das die Betroffenen selbst oder andere Personen gefährdet werden;
- starker Unruhe, die zu gesundheitlicher Beeinträchtigung führt.
Folgen, Gefahren
Bei regelmäßigem und dauerhaftem Einsatz können freiheitsentziehende Maßnahmen zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei den Betroffenen führen. Das können z.B. Hautabschürfungen und Hämatome sein. Darüber hinaus kann die durch den regelmäßigen und dauerhaften Einsatz von freiheitsentziehenden Maßnahmen führende Immobilisation Stress und geistigen Abbau bedingen. Bei unsachgemäßer Anwendung können freiheitsentziehende Maßnahmen im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen, in seltenen Fällen können selbst korrekt angebrachte mechanische Fixierungen tödliche Folgen haben.
Rechtliche Grundlagen
Freiheitsentziehende Maßnahmen dürfen nur durchgeführt werden, wenn die Betroffenen selbst schriftlich zugestimmt haben. Falls Betroffene nicht einwilligungsfähig sind, muss die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme durch einen Betreuer oder einen Bevollmächtigten beim Betreuungsgericht eingeholt werden. Gibt es keinen Bevollmächtigten oder Betreuer, kann jeder beim Betreuungsgericht eine rechtliche Betreuung anregen.
Jede freiheitsentziehende Maßnahme muss in ihrer Art und in ihrem zeitlichen Umfang dokumentiert werden. In die Dokumentation können Angehörige und Betreuer Einsicht nehmen.
Was ist ohne Einwilligung/Genehmigung verboten?
Strafrechtliche Aspekte
Fixierungen können den Tatbestand der Freiheitsberaubung (§239 StGB) erfüllen, wenn das Einverständnis der Betroffenen (bei Einwilligungsfähigkeit) oder die Zustimmung des Betreuers bzw. eine Genehmigung des Betreuungsgerichts (bei nicht einwilligungsfähigen Betroffenen) fehlt und kein rechtfertigender Notstand vorliegt. Bei fehlerhaften, aber auch bei unterlassenen Fixierungen können Körperverletzungs- und Tötungsdelikte erfüllt sein. Detaillierte Hinweise können dabei nicht für alle denkbaren Sachverhalte gegeben werden. Die Strafbarkeit kann nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden.
Arbeitsrechtliche Aspekte
Eine fehlerhafte oder unterlassene Fixierung kann auch zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen, wenn die Pflegekraft ihre arbeitsvertraglichen Pflichten schuldhaft (d.h. vorsätzlich oder fahrlässig) verletzt hat. Die Beweislast trägt der Arbeitgeber, maßgeblich sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Ein Pflichtenverstoß wäre insbesondere im Falle der Zuwiderhandlung gegen eine Anweisung der Heimleitung, zum Beispiel den Patienten zu fixieren, zu bejahen. Vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber ist aufgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Regel der Ausspruch einer Abmahnung (Kündigungsandrohung) erforderlich. Im Wiederholungsfall kommt nach erfolgter Abmahnung auch eine Kündigung der Pflegekraft aus verhaltensbedingten Gründen in Betracht.
Alternativen finden! – Zuhause und in stationären Pflegeeinrichtungen
Ist der/die Pflegebedürftige sturzgefährdet, können auch bauliche oder technische Maßnahmen, wie helle Beleuchtung oder die Beseitigung von „Sturzfallen“ Abhilfe schaffen. Weitere Alternativen lassen sich bei einer fachgerechten Beratung herausarbeiten.
Es gibt viele Möglichkeiten, Sie als Angehörigen zu entlasten – auch ohne freiheitsentziehende Maßnahmen. In Pflegeeinrichtungen helfen den Bewohnern feste Strukturen im Tagesablauf, um sich zu orientieren und Sicherheit zu vermitteln. Biografiearbeit kann wichtige Hinweise für die Ursachen von Auffälligkeiten (zum Beispiel Unruhe) bringen. Hier können Nachtcafés oder eine persönliche Betreuung die Unruhe beseitigen.
Die Ausgangsfrage in der modernen Pflege lautet nicht mehr: Wie hindere ich einen pflegebedürftigen Menschen daran, sich zu bewegen (weil er stürzen und sich verletzen könnte)? Sondern:
Wie stärke ich den Menschen, damit er nicht hinfällt oder sich im Falle eines Sturzes nicht schwer verletzt?
Wie gestalte ich seine Umgebung möglichst sicher?
Wie kann ich ihm helfen, seinen Bewegungsdrang mit positivem Effekt auszuleben?
Richtlinien und Hilfen bieten Verfahren, wie zum Beispiel der „Werdenfelser Weg“ oder das Projekt „reduFix“.